Möbel
Ergonomie im Möbelbau
Ergonomie im Möbelbau
Der Möbelbau begleitet den Menschen seit Jahrtausenden – von einfachen Holzkonstruktionen der Jungsteinzeit über kunstvoll verzierte Truhen im Mittelalter bis hin zu den funktional reduzierten Formen des Bauhauses im 20. Jahrhundert. Während in früheren Epochen vor allem Repräsentation und Handwerkskunst im Vordergrund standen, änderte sich mit der industriellen Revolution der Fokus: Möbel wurden massenhaft produziert, die Anforderungen an Funktionalität und Alltagstauglichkeit stiegen – und mit ihnen entstand die Notwendigkeit, den menschlichen Körper stärker in die Gestaltung einzubeziehen.
Die moderne Ergonomie, die sich seit dem frühen 20. Jahrhundert entwickelte, hat das Ziel, Produkte so zu gestalten, dass sie optimal an die physischen und psychischen Eigenschaften des Menschen angepasst sind. Im Möbelbau bedeutet das: Gebrauchsmöbel müssen nicht nur robust und ästhetisch sein, sondern auch körpergerechtes Sitzen, Liegen oder Arbeiten ermöglichen. Wichtige Grundlagen dafür legten Wissenschaftler wie Winfried Hacker („Allgemeine Arbeitswissenschaft“) oder Etienne Grandjean, der in seinem Standardwerk “Fitting the Task to the Man” (1987) die Auswirkungen von schlecht gestalteten Arbeitsplätzen auf die Gesundheit analysierte.
Eine der zentralen Erkenntnisse der Ergonomieforschung ist, dass der menschliche Körper nicht für dauerhaft statische Positionen gemacht ist. Besonders im Bereich der Sitzmöbel führte diese Erkenntnis zur Entwicklung des „dynamischen Sitzens“, das durch flexible Rückenlehnen, höhenverstellbare Sitzflächen und bewegliche Elemente die Muskulatur aktiviert und die Wirbelsäule entlastet. Studien des Fraunhofer-Instituts IAO sowie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) belegen, dass ergonomisch gestaltete Bürostühle das Risiko von Rückenleiden signifikant senken können.
Doch nicht nur im Büro, auch im Wohnraum gewinnt Ergonomie zunehmend an Bedeutung. So zeigen anthropometrische Erhebungen – etwa jene des Deutschen Instituts für Normung (DIN EN ISO 7250) – wie sehr sich Körpergrößen und Proportionen verändert haben. Ein Sofa oder Esstisch von heute muss andere Anforderungen erfüllen als noch vor 50 Jahren. Die Anpassung an verschiedene Nutzergruppen, von Kindern über Senioren bis hin zu Menschen mit körperlichen Einschränkungen, wird damit zur Herausforderung und zugleich zum Qualitätsmerkmal.
Als Handwerker und Designer sehe ich ergonomisches Möbeldesign nicht als Einschränkung, sondern als kreative Aufgabe: Wie lassen sich gesundheitliche Erkenntnisse mit gestalterischem Anspruch und traditioneller Handwerkskunst verbinden? Die Antwort liegt in der Materialwahl, der Formgebung und der intelligenten Verbindung von Funktion und Ästhetik. Holz beispielsweise, ein nachgiebiger, lebendiger Werkstoff, eignet sich hervorragend zur Herstellung ergonomischer Sitzschalen oder Rückenstützen.
Fazit: Ergonomie im Möbelbau ist kein Trend, sondern ein essenzieller Bestandteil guter Gestaltung. Sie erfordert interdisziplinäres Denken – zwischen Handwerk, Design und Wissenschaft. Wer Gebrauchsmöbel gestaltet, trägt Verantwortung für die Gesundheit ihrer Nutzer. Und genau darin liegt die wahre Kunst eines ergonomisch durchdachten Möbels.
Quellen
- Grandjean, E. (1987). Fitting the Task to the Man. Taylor & Francis.
- Hacker, W. (2005). Allgemeine Arbeitspsychologie. Huber Verlag.
- DIN EN 1335: Büromöbel – Bürostühle – Maße, Sicherheitsanforderungen.
- DIN EN ISO 7250: Basisdaten zur Anthropometrie.
- Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Ergonomiestudien, www.baua.de
- Fraunhofer IAO: Forschungsberichte zur Arbeitsplatzergonomie, www.iao.fraunhofer.de